Giraut
Biography

Girauts Lebensgeschichte

 

Girauts früheste Erinnerung war voller warmer Gefühle.Er erinnerte sich an einen Holzbecher, gefüllt mit honiggesüßtem Holunderbeerensaft, ganz für sich allein.Er war damals noch ein kleiner Junge; dass seine Familie in äußerster Not und Entbehrung lebte, war ihm nicht bewusst. Seine Eltern waren liebevoll und ließen ihn und seine drei Brüder und vier Schwestern, die die ersten Jahre der Kindheit hatten überleben dürfen, nie die bittere Not der Armut spüren. Bis auf eine Schwester sollte keines seiner Geschwister das Erwachsenenalter erreichen. Alle raffte Not, Krankheit, Krieg oder ganz einfach der Hunger hinweg.

Seine Eltern waren gottesfürchtige einfache Leute, sie durften ein paar dürre Olivenbäume und ein paar Weinreben des "Herren" pflegen. Giraut wusste nicht, wer dieser "Herr" war, aber er vermutete, dies müsse wohl Gott sein, denn aus dem wenigen, was er bei den Gottesdiensten verstand, wusste er, dass Gott "der Herr" genannt wurde.

Manchmal war der Herr böse auf seine Eltern. Dann hatten sie stets große Furcht vor Strafe, und ab und an erschienen vierschrötige Gestalten in rostigen Kettenhemden und verdreckten Gambesons, schlugen seinen Vater und zerrten seine Mutter in dunkle Ecken des kleinen Hauses, das Vater gebaut hatte. Später zogen sie auch seine Schwester in diese dunklen Ecken. Dunkel waren sie, weil der Junge dann stets die Hände vor die Augen schlug und nichts mehr sehen wollte.

Dann kam die Pest. Seine Schwester starb zwei endlose Tage lang, seine Eltern starben innerhalb von Stunden. Er erkrankte auch, gesundete jedoch nach wenigen Tagen.

Monate später konnte man Giraut, der mittlerweile zum Halbwüchsigen herangereift war, als Bettler in den verdreckten Straßen von Marseille finden. Nein, unter Bettlern gibt es keine Ehre. Erbitterte nächtliche Rattenkämpfe um die besten Plätze zum Betteln lehrten ihn zu kämpfen, auf eine niederträchtige und ehrlose Weise, für die er sich noch heute, über tausend Jahre später, schämte.

Einmal wurde er übel zusammen geschlagen und vor die Tore der Stadt geworfen, man hatte ihn vielleicht für tot gehalten, aber Giraut war offenbar von robuster Natur.

Er erwachte, als jemand ihm die Wange tätschelte und wohlmeinend auf ihn einredete. Ein fahrender Sänger hatte ihn gefunden. Giraut wurde sein fleißiger Schüler. Eifrig lernte er von seinem Lehrer. Er lernte Französisch, denn seine Heimatsprache Provencalisch war nicht überall bekannt, lernte aber auch, dass er in Provencalisch singen solle, dies würde bei den Franzosen gut ankommen. Zwar verstand er das nicht, tat es aber dennoch. Er lernte, Musikinstrumente zu bedienen, die Flöte, die Sackpfeife, die Trommel, die Leier, die Laute. Und Singen! Damit tat er sich schwer. Er hatte eine laute Stimme, die auch oft die Töne traf, aber so richtig wollte es einfach nicht werden.

Er konnte höher singen als die meisten, auch im Falsett konnte er singen, wenn auch nicht so rein wie die Kastraten, aber damals achtete das Publikum nicht so sehr auf künstlerische Vollendung.

Bald wusste sein Lehrherr ihm nichts mehr beizubringen. Sie schieden in Freundschaft.

Aus "Giraut, der Bettler" wurde Giraut le Noir. Seine Kunden waren Ritter und Edle auf den Burgen, sie wollten Lieder über Minne und ritterliche Taten hören, und die Sänger hatten gefälligst ebenfalls adlig zu sein.

Giraut hatte von seinem Lehrherrn genug gelernt, um sich als Adliger unbekannter Herkunft auszugeben. Erst einmal sollte sein Betrugsmanöver nicht auffallen (hier möchte der Autor anmerken, dass die meisten angeblich uradligen Familien von in Wirklichkeit zweifelhafter Abstammung sind), und in den folgenden Jahren, in denen er als Giraut le Noir in mehr und mehr prächtigen Reisekutschen von Burg zu Burg reiste, erhielt er von volltrunkenen Grafen und Fürsten als Dank für seine Sangeskunst mehr Ritterschläge als ein Schankknecht Ohrfeigen erhält.

Dies waren Jahre, an die er sich mit Freude erinnerte.

Giraut le Noir wurde älter. Seine Sangeskunst verbesserte sich, auch lernte er mehr und mehr Musikinstrumente zu spielen. Er verstand sich jetzt auch auf die al`Ut, woraus später die Laute und noch später die Gitarre werden sollte.

Als er um die dreißig Jahre zählte, nahm er das Kreuz, um an der Befreiung des Heiligen Landes teilzunehmen. Sein Adel stand da schon lange außer Zweifel. Doch hatte er kein Lehen. Vielleicht mochte im fernen Palästina, im Lande Gottes, ein Lehen auf ihn warten.

Der Kreuzzug war grausam.

Jerusalem wurde erobert, aber unter welch schrecklichen Bedingungen. Chronisten schrieben noch Jahrhunderte später, dass die christlichen Ritter knöcheltief im Blute der Geschlagenen wateten. Giraut war einer der Schlächter gewesen. Er hatte Frauen, Kinder, Männer erschlagen, Christen, Moslems, Juden, ganz wie alle anderen Ritter war er dem Blutrausch erlegen.

Der Sänger war zum Mörder geworden.

Balduin ließ sich zum König von Jerusalem ernennen, Giraut floh von diesem Orte. Für ihn stand fest: nie wieder würde er an einem solchen Massenmord teilnehmen.

Er reiste durch Nordafrika, durch Spanien zurück in seine Heimat. Um dort erneut zu erleben, wie Menschen getötet wurden, nur weil sie anders glaubten, als der König, der Papst es wünschten.

In jener Zeit sang Giraut wenig Lieder.

Bei einem völlig unbedeutenden Schwertkampf auf irgendeinem Weg verlor er sein Leben. Jemand hatte ihn getötet, ausgeraubt und war fort gelaufen.

Als er wieder erwachte, fand er sich in den Armen jenes Minnesängers, der ihm vor zwanzig Jahren sein Handwerk gelehrt hatte. Er war nicht gealtert.

In den folgenden Jahren sollte Giraut mehr lernen, als nur zu singen und zu spielen.

Von da ab war Giraut von einer Idee geradezu besessen: eine Gemeinschaft von Unsterblichen zu finden, die nicht gegeneinander kämpft, sondern gemeinsam gegen das Böse in der Welt eintritt.

Es gab hier und dort Ansätze dazu, doch schlugen alle seine Versuche, solch eine Gemeinschaft aufzubauen, fehl. Ritterorden, mönchische Enklaven, Turniergesellschaften, was auch immer er versuchte, es gelang nicht. Stets gab es Neider, die alles zerstörten.

In den folgenden Jahren war Giraut nie als Sänger tätig. Man brauchte keine Sänger, man brauchte Soldaten. Giraut diente Wallenstein wie er vielen anderen Kriegsherren als Berater diente. Er war nicht stolz darauf. Das Blutbad in Jerusalem konnte er niemals vergessen.

Manchem König diente er als General, leitete so manche Schlacht, bei der schrecklich viele junge Männer fielen. Stets hatte Giraut danach große Seelenpein.

Dies war die Zeit, als große Fechtmeister in Italien und Frankreich Schulen unterhielten. Giraut begann, sich dem Studium dieser Kunst zu widmen. Ein italienischer Maestro sagte ihm, für das Verständnis der Fechtkunst sei Verständnis für Musik nötig.

In der Halle jenes Maestros wurde Meisterschülern Lektionen erteilt, die von Musik untermalt waren. Der Maestro hatte dafür eigens ein Streichquartett engagiert. Über Jahre hinweg nahm Giraut dort Lektionen, untermalt von den Klängen der barocken Musik.

Es währte lange Zeit, doch dann durfte sich Giraut selbst "Fechtmeister" nennen.

Giraut war 1789 in Paris, auf der richtigen Seite der Barrikaden.

1848 war Giraut in Frankfurt in der Paulskirche.

1871 war Giraut als Berater erneut in Frankreich.

Seitdem wirkt Giraut, der mittlerweile Deutschland als seine Heimat ansieht, als Fechtmeister in studentischen Korporationen wie auch in sog. Sportvereinen.

In den letzten Jahren lernte Giraut, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist und niemals sein wird.

 

Sir Giraut le Noir

 

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wird fortgesetzt...